Liebe Leserin, lieber Leser.
Manchmal nervt es. Das Auto steht im Stau, ich muss ewig an der Kasse anstehen. Der Zug (Bummelzug) hat mal wieder Verspätung. Es geht mir nicht schnell genug. Allerdings soll es auch Menschen geben, die sich bewusst für die langsame Verbindung entscheiden, weil sie dann mehr von der Landschaft wahrnehmen und unterwegs mehr Leute kennen lernen.
Auch die Slow Food Bewegung geht in diese Richtung. Bewusstes Genießen mit ausführlicher Zubereitung statt schnelles Essen nur zur Nahrungsaufnahme.
Die rote Königin aus Alice im Wunderland gibt Alice einen anderen Rat: Wenn du an dem Fleck bleiben willst, wo du bist, renn so schnell du kannst. Wenn du an einen anderen Fleck gelangen willst, renn noch schneller. Bei diesem Gedanken bekomme ich Schnappatmung. Ich sehe bildlich die Zunge, die aus dem Hals hängt vor mir. Die Zeitdiebe im Buch Momo erklären Effizienz und Zeitersparnis zum Maß aller Dinge. Es bleibt wenig Raum für die Fragen wie:
Was würde mich glücklich machen?
Was bedeutet Leben in Fülle für mich?
Wo gibt es Räume und wo Menschen bei denen ich auftanken kann?
Nach was sehne ich mich im tiefsten Inneren?
Habe ich Träume, Visionen, die ich gern weiterentwickeln möchte?
Es geht dabei nicht um Langsamkeit oder Entschleunigung oder als Selbstzweck. Vielmehr geht es darum in eine andere Beziehung mit der Welt zu gehen. Einen anderen Blick auf mich selbst, meine Mitmenschen und Gott zu bekommen. Statt höher, schneller, weiter, bewusst den Augenblick genießen, den Mitmenschen wahrnehmen auch für den Preis, dass dafür etwas anderes liegen bleibt.
Wer leben will, muss das Leben wieder langsam leben, Tag für Tag, Minute für Minute.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich stelle fest, dass meine guten Vorsätze zu entschleunigen immer wieder von dringlichem und vermeintlich wichtigem aufgefressen werden. Daher lade ich Sie ein, einmal darüber nachzudenken und nachzuspüren, wo ihr persönlicher Ort der Beziehungspflege mit Gott und mit sich selbst sein kann.
Das kann eine Kirche sein oder ein stilles Plätzchen im Wald oder ein Winkel in der Wohnung, das Pflegen eines Hobbys. Sie haben bestimmt noch kreative Ideen, auf die ich nicht gekommen bin. Es kann auch hilfreich sein, sich Termine mit Gott und sich selbst fest in den Terminkalender einzutragen oder den Sonntag ganz neu zu feiern und zu entdecken.
Jesus ermutigt dazu, uns immer wieder Räume und Zeiten der Stille zu nehmen. So können wir ganz bei ihm und ganz bei uns selbst sein. Dies kann es uns ermöglichen den oben genannten Fragen nachzugehen. In der Geschichte von Maria und Martha wird beschrieben, dass Maria zu seinen Füßen saß. Ein Moment, der eine enge, liebevolle Beziehung beschreibt. Auch nahm sich Jesus selbst Auszeiten, auch wenn noch so viel zu tun war. In den Evangelien wird beschrieben, dass er auf einen Berg ging, um sich Zeit mit seinem Vater zu gönnen.
Er wagte die Langsamkeit in Form von Abwarten. Er weist Maria in der Geschichte Hochzeit zu Kanna darauf hin, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist. Maria hätte sich sicherlich ein schnelleres Handeln von Jesus gewünscht.
Die Urlaubszeit bietet die Chance, Langsamkeit neu für sich zu entdecken. Wo gibt es Gelegenheiten auszuprobieren, die Dinge etwas langsamer anzugehen? Anders in Beziehung mit sich, der Welt und Gott zu sein?
Lass mich langsamer gehen, Gott,
entlaste das eilige Schlagen meines Herzens
durch das Stillwerden meiner Seele.
Lehre mich die Kunst des freien Augenblicks.
Lass mich langsamer gehen,
um eine Blüte zu sehen,
ein paar Worte mit einem Freund zu wechseln,
einen Hund zu streicheln
ein paar Zeilen in einem Buch zu lesen
Lass mich langsamer gehen, Gott
Und gibt mir den Wunsch
Meine Wurzeln tief in den ewigen Grund zu senken
Damit ich emporwachse, zu meiner wahren Bestimmung
(aus Verweile doch aus Unterwegs, ein Notizbuch)
Herzlichst
Ihre Gemeindepädagogin
Susan Philippi-Nest